Sieben Wege, um mehr Mobilität zu erreichen

Mobilität im Sinne von Beweglichkeit und Fortbewegung ist eine grundlegende Voraussetzung für eine autonome Lebensführung. Darum wird der Verlust oder die Gefährdung von Mobilität durch eine Erkankung oder eingetretene Behinderung in der Regel als starke Bedrohung erlebt. Aus der Sicht der nicht-mobilitätseingeschränkten Menschen ist deshalb der Rollstuhl DAS Sinnbild für Behinderung. Sämtliche Belastungen und Einschränkungen durch unsichtbare Symptome werden in dieser Sichtweise völlig ausgeklammert. So toll beispielsweise die technischen Möglichkeiten von Exoskeletten auch sind, wird dabei übersehen, daß das Laufen nur ein Mosaiksteinchen von vielen ist.

Ist man selbst von Krankheit oder Handicaps betroffen, steht man sich leider selbst im Weg, wenn es um den Ausgleich der eigenen Einschränkungen geht. Je nach Gesundheitszustand kann jeder selbst etwas tun, um Verbesserungen in der Beweglichkeit zu erreichen. Wir stellen hier verschiedene Möglichkeiten vor.

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1. Emotionale innere Grenzen überwinden

Eine große Herausforderung bei chronischen Erkrankungen ist der Umgang mit auftretenden Krankheitsverschlechterungen. Wenn sich Symptome verschlechtern oder neue hinzukommen müssen relativ schnell alltagstaugliche Möglichkeiten gefunden werden, um damit umzugehen. Bis sich aber auch auf der Ebene der Gefühle eine Akzeptanz des nun eingetretenen, schlechteren Zustandes einstellt kann einige Zeit vergehen. Bis dahin tauchen bei der Bewältigung einer gesundheitlichen Verschlechterung auch Emotionen wie Wut, Trauer, Scham und auch ein „Nichtwahrhabenwollen“  auf. So beschreiben es viele Betroffene und auch  verschiedene psychologische Modelle der Krankheitsbewältigung.

Eine Folge davon ist, dass notwendige Hilfsmittel nicht immer sofort gemocht werden. Scham kann die Nutzung eines Gehstocks verhindern. Sehr schwierig kann es auch sein eine Inkontinenz zu akzeptieren und Einlagen zu verwenden. Und Verleugnen kann dazu führen, sich gar nicht erst mit Lösungen beschäftigen zu wollen. Dabei könnten gerade passende Hilfsmittel – rein vernünftig betrachtet – vieles wieder möglich machen.

Um mehr Mobilität zu erreichen kann es also in einem ersten Schritt notwendig sein gesundheitliche Rückschläge emotional zu bewältigen und innere Grenzen zu überwinden. Wer dies nicht aus eigener Hilfe schafft kann sich Hilfe von außen holen, Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Psychotherapeuten sind dafür gute Gesprächspartner.

2. Therapien, Bewegung und Sport unterstützen den Körper

Geht Beweglichkeit aufgrund neuronaler Schäden im Gehirn teilweise verloren, so besteht Hoffnung, dass diese Schäden Dank der Plastizität des Gehirns wieder ausgeglichen werden können. Der Begriff Plastizität bezeichnet die Fähigkeit des Gehirn neue neuronale Verbindungen zu schaffen.

Einige nicht-medikamentöse Therapien können dabei helfen. So ist aus der Schlaganfallforschung bekannt, dass unser Gehirn alleine schon durch das Sehen eines Bewegungsablaufes damit beginnt den beobachteten Bewegungsablauf zu lernen. Das wird z.B. in der Spiegeltherapie angewendet und weitergeführt. Ich hatte einmal die Gelegenheit dabei zuzusehen wie einer Patientin in einer Ergotherapieeinheit an einem Bildschirm die Bewegungen der gesunden rechten Hand gezeigt wurden – und zwar vom Computer so gespiegelt umgerechnet, als wäre es die von Spastik betroffene linke Hand. Das Gehirn der Patientin versuchte das dann an der betroffenen linken Hand umzusetzen und die Beweglichkeit zu verbessern.

Ebenfalls starke Reize auf das Gehirn erzeugen die angeleitete Vorstellung der Bewegung (z.B. im Rahmen der Feldenkrais und SoWi-Therapie) oder die gezielte Ausführung der Bewegungen im Rahmen von Physiotherapie, Ergotherapie und Sport.


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Physiotherapie und Ergotherapie sind die beiden häufigsten angewendeten symptombezogenen Therapien. Ein wichtiges Therapieziel kann eine verbesserte Beweglichkeit sein, aber auch Schmerzen, Gleichgewichts- oder Empfindungsstörungen und weitere Symptome können damit behandelt werden. Beide Therapieformen können ärztlich verordnet und ambulant dauerhaft durchgeführt werden. Der Hausarzt oder der Neurologe hat bei Vorliegen bestimmter dauerhafter Symptome (z.B. Spastik) die Möglichkeit regelmäßig die notwendigen Verordnungen z.B. für Physiotherapie auf neurologischer Grundlage auszustellen. Eine Vertiefung und Intensivierung der Effekte der ambulanten Therapien kann regelmäßig durch einen Rehabilitationsaufenthalt in einer Klinik erfolgen.

Auch sportliche Aktivitäten jeder Art gelten auch bei gesundheitlichen Einschränkungen als empfehlenswert, soweit sie Freude machen und nicht überfordern. Besonders bewährt haben sich beispielsweise bei Multiple Sklerose je nach Art der Beeinträchtigung Sportarten wie Gymnastik, Wassergymnastik, Schwimmen, verschiedene Arten von Gerätetraining aber auch Radfahren, Reiten oder Klettern. Wer eine Rehasportgruppe in der Nähe hat, kann mit Hilfe einer ärztlichen Verordnung kostenlos daran teilnehmen.

3. Mit einer geeigneten Hilfsmittelversorgung mehr Mobilität erreichen

Im Bereich der Mobilität sind Gehstöcke, Rollatoren und Rollstühle die gängigen Hilfsmittel, während eine geeignete Inkontinenzversorgung für Unabhängigkeit von der Toilette sorgt.

Gehstöcke, Rollatoren und Rollstühle

Neben der Unterstützung der Mobilität sollen diese Hilfsmittel Gangunsicherheiten ausgleichen, die Sturzgefahr vermindern, die Stabilität erhöhen und eine aufrechte Körperhaltung ermöglichen. Dabei kann je nach Handicap und Einsatzzweck das Hilfsmittel gewechselt werden. Das kann manchmal für verwirrte Gesichter bei Passanten sorgen, wenn die Rollifahrerin plötzlich ihren Rolli verlässt und mit dem Gehstock weiterläuft.

Einen Rollstuhl nutzen zum Beispiel einige MS-Betroffene nur für weitere Wege, während in der Wohnung gelaufen und vor dem Haus der Rollator genommen wird.  Weil eine Standardversorgung nicht unbedingt sinnvoll ist und es gerade bei Rollstühlen große Unterschiede gibt, ist es empfehlenswert sich vor einer geplanten Hilfsmittelversorgung immer zuerst bei einem guten Sanitätshaus beraten zu lassen. Auf Grundlage dieser Beratung kann das Arztgespräch gesucht und dort nach einer konkreten Hilfsmittelverordnung gefragt werden. Durch dieses Vorgehen steigen außerdem die Chancen, dass die Krankenkasse das Hilfsmittel bewilligt.

Inkontinenzhilfen

Bei  bis zu 80% aus der Patientengruppe der MS-Betroffenen kommen im Laufe der Erkrankung Probleme mit der Blase vor. Um peinliche Situationen zu vermeiden wird der Alltag bei vielen davon Betroffenen von Vermeidungsverhalten bestimmt. Beispiele für Vermeidungsverhalten sind weniger trinken, mehr Zeit zu Hause verbringen und nur noch an Orte gehen, die nachweislich eine geeignete Toilette vorweisen können. Mögliche Auswege aus diesem vermeintlichen Gefängnis bieten Inkontinenzhilfen. Je nach Stärke der Inkontinenz können Einlagen oder Pants (Einwegslip) mit verschiedener Saugfähigkeit oder auch Katheter verwendet werden.  Einlagen und Pants können zum Ausprobieren in der Drogerie oder anonym bei Onlineversandhändlern bestellt werden. Sie sind auch für Männer in verschiedenen Größen und Stärken erhältlich. Sie können vom Arzt verordnet und von der Krankenkasse bezahlt werden. Ein Urologe kann eine genaue Diagnostik stellen und gegeben falls auch zu den verschiedenen Möglichkeiten der Katheterisierung beraten.

4. Krankenfahrten zur ambulanten oder stationären Behandlung

Was kann man tun, wenn eine notwendige Fahrt in das Krankenhaus, zum Arzt oder Therapeuten weder mit dem Auto noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist?

In diesem Fall kann man sich vom Arzt eine „Verordnung einer Krankenbeförderung“ ausstellen lassen. Im Gegensatz zu den Krankenfahrten in das Krankenhaus müssen Verordnungen für Fahrten zu ambulanten Behandlungen vor Antritt der Fahrt von der Krankenkasse genehmigt werden. Erst nach der Genehmigung kann die Fahrt beim Dienstleister reserviert und durchgeführt werden. Es ist eine Zuzahlung in Höhe von 5-10€ zu leisten. Je nach Gesundheitszustand kann die Fahrt mit einem Taxi, dem Patientenfahrdienst oder einem Krankentransport erfolgen.

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Voraussetzungen für eine Genehmigung von Krankenfahrten zu ambulanten Behandlungen:

  • „eingeschränkte Mobilität“
  • Die ambulante Behandlung ist medizinisch notwendig und eine Leistung der Krankenkasse.

Eine Genehmigung der Krankenfahrten durch die Krankenkassen erfolgt bei folgenden Personengruppen mit „eingeschränkter Mobilität“:

  • Schwerbehinderte,  deren  Schwerbehindertenausweis  eines  der  folgenden Merkzeichen enthält: „aG“ für außergewöhnliche Gehbehinderung, „Bl“ für Blindheit oder „H“ für Hilflosigkeit.
  • Pflegebedürftige,  deren  Pflegebescheid  Pflegegrad  4  oder  5  ausweist,  sowie  Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad  3,  wenn bei  ihnen eine dauerhafte Mobilitätsbeeinträchtigung vorliegt.
  • Patienten, welche die Krankenfahrt für eine Dialyse, Strahlen- oder onkologische Chemotherapie benötigen.

Patienten, die während der Krankenbeförderung auf eine medizinisch-fachliche Betreuung oder eine fachgerechte Lagerung angewiesen sind, haben das Recht auf einen Krankenwagen. Das kann zum Beispiel bei Patienten mit einem Dekubitus oder mit schweren, ansteckenden Krankheiten der Fall sein.

Eine zweite Bedingung für die Verordnung einer Krankenfahrt zur ambulanten Behandlung ist, dass die Behandlung zwingend medizinisch notwendig und eine Leistung der Krankenkasse ist. Darunter fallen Behandlungen beim Arzt, aber auch beim Psychotherapeuten, Zahnarzt, Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie sein. Termine, bei denen lediglich Verordnungen abgeholt oder Befunde erfragt werden, gehören nicht dazu.

5. Fahrdienst zur Teilhabe an der Gesellschaft

Der von einigen Behörden noch immer sogenannte „Behindertenfahrdienst“ ermöglicht ein Kilometerbudget oder einen pauschalen Geldbetrag für Fahrten, die für die gesellschaftliche Teilhabe notwendig sind. Damit sind z.B. Fahrten zur Selbsthilfegruppe, zur Familie oder zur Freizeitgestaltung gemeint. Die Dienstleister sind in der Regel Institutionen wie die Johanniter, der BRK oder der ASB aber auch zunehmend Taxiunternehmen. Um den Fahrdienst zu nutzen wird rechtzeitig vorher telefonisch ein Termin vereinbart.

Voraussetzungen für den Fahrdienst

Die Voraussetzungen und der Umfang der Leistungen sind in den 16 Bundesländern unterschiedlich geregelt. Hinzu kommen weitere unterschiedliche regionale Regelungen. Hinzu kommt, dass die Vorrausetzungen für die Kostenübernahme dieses Fahrdienstes leider sehr eng gefasst sind. Nicht nur die Einschränkungen in der körperlichen Mobilität zählen. Hinzu kommen meist Einkommens- und Vermögensgrenzen, die sich auch auf die Haushaltsangehörigen des Antragstellers erstrecken.

Als Anhaltspunkte können für die Voraussetzungen folgende Anhaltspunkte genannt werden, je nach Bundesland gibt es jedoch davon abweichende Regelungen:

  • Die Schwere der Behinderung gilt mit den Merkzeichen aG und zusätzlich B oder H als erwiesen.
  • Die Einkommensgrenze liegt beim Zweifachen des Bürgergeld-Regelsatzes (ab 2024 liegt der Regelsatz bei 563€) plus der angemessenen Kosten für die Unterkunft.
  • Die Vermögensgrenze liegt bei ca. 56000€ und bei  5000€ bei Bezug von Bürgergeld.

6. Mietwagen und Rollstuhltaxis

Das eigene Auto gilt vielen Menschen als das wichtigste Mittel zur Mobilität. Ein Leihwagen oder ein Rollstuhltaxi kann in bestimmten Situationen eine Alternative sein. Mietwagen gibt es sowohl für Selbstfahrer als auch für Mitfahrer mit einem Rollstuhl. Größter Anbieter ist derzeit die Firma Avis, aber auch Europcar hat entsprechende Fahrzeuge im Angebot. Bei der Ausleihe ist eine rechtzeitige Voranmeldung empfehlenswert, damit ein geeignetes Fahrzeug reserviert werden kann.

In vielen Städten und Landkreisen gibt es mittlerweile auch Rollstuhltaxis. Im Gegensatz zum normalen Taxis erlauben Rollstuhltaxis die sichere Mitnahme im eigenen Rollstuhl sitzend.

 

7. Öffentliche Verkehrsmittel

Die Merkzeichen G oder aG im Schwerbehindertenausweis ermöglichen die Freifahrt im öffentlichen Nahverkehr nach jährlichem Erwerb einer Wertmarke für 80€. Bei Merkzeichen H sind die Freifahrt im Nahverkehr und die Wertmarke kostenlos. Bei Merkzeichen G ist dann allerdings die Kfz-Steuerermäßigung nicht gleichzeitig mit der freien Benutzung des Nahverkehrs möglich.

U-Bahn, S-Bahn

Lediglich in den Großstädten sind U- und S-Bahnen in der Regel barrierefrei ausgebaut und bieten innerhalb der Bahnnetze eine unkomplizierte Alternative zum Auto. Die Stadt München beispielsweise bietet sogar innerhalb des Stadtgebiets einen kostenfreien Bus & Bahn Begleitservice im öffentlichen Nahverkehr an. Die städtische Dienstleistung richtet sich an Fahrgäste, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Für die Auftragsannahme ist von Montag bis Freitag in der Zeit von 9 bis 16 Uhr folgende Telefonnummer besetzt: 089 544918920.

Mobilitätsservice der Bundesbahn

Um mobilitätseingeschränkten Bahnkunden das Bahnfahren zu erleichtern bietet die Bahn schon seit vielen Jahren den Mobilitätsservice an. Hier kann mit Angabe der Zugnummer sowie der Abfahrts-und Ankunftszeiten Hilfe bei Ein- und Aussteigen, eine Sitzplatzreservierung oder die Bereitstellung eines Hublifts bestellt werden. Der Mobilitätsservice sollte direkt vor der Buchung eines Tickets kontaktiert werden. Die Bahn bietet diesen Service online oder telefonisch unter 0180 6512512. Die Mobilitätszentrale erfragt die gewünschten Hilfen und prüft an den jeweiligen Bahnhöfen die Zustände der Fahrstühle und die vorgegebene Umsteigezeit. Anschließend geht eine Anmeldung der benötigten Hilfeleistung an den Service der einzelnen Bahnhöfe.

Barrierefreie Busse fehlen

Absolut ungenügend ist der barrierefreie Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs außerhalb der Großstädte. In der Regel sind die meisten Busse immer noch nicht für die Mitnahme von Rollstuhlfahrern ausgelegt oder es scheitert bereits am Einsteigen. Das wichtigste Fortbewegungsmittel wird hier deswegen auch weiterhin das eigene Auto bleiben.