Bundesteilhabegesetz: Persönliche Assistenz und die Antragstellung

Mit dem Teilhabegesetz wurden ab 2018 im Sozialgesetzbuch wortwörtlich die Leistungen für Assistenz verankert. Das bedeutet, dass es von nun an unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Leistungen für Menschen mit Behinderung gibt, die davon Assistenten bezahlen können.

Im wirklichen Leben gibt es das Konzept der Assistenz bereits seit den 70’er Jahren und auch die Verankerung der finanziellen Grundlage war schon im bisherigen Sozialgesetz vorhanden, aber nur nicht so wortwörtlich. Assistenz ist grundsätzlich in verschiedenen Lebensbereichen möglich, sowohl für die Ausübung einer Berufstätigkeit (Arbeitsassistenz) als auch im persönlichen Bereich (Persönliche Assistenz, Elternassistenz). Persönliche Assistenz bietet so für alleinlebende pflegebedürftige Menschen in vielen Fällen eine bessere Alternative zum Pflegeheim.

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Hier wäre noch der Link zu einem empfehlenswerten Youtube-Video des VdK-TV mit dem Titel „Leben mit Assistenz: Assistenten selbst einstellen

Persönliche Assistenz

Persönliche AssistentInnen führen die Alltagshandlungen von Menschen mit Behinderung aus, zu denen diese rein körperlich nicht in der Lage sind. Assistenten führen diese Handlungen nach der Anweisung des Assistenznehmers, also des Menschen mit Behinderung aus. Dazu ist die Kompetenz des Assistenznehmers notwendig, seine Bedürfnisse zu äußern und in einer Anweisung zu kommunizieren.  Was der Gesetzgeber im Teilhabegesetz mit den Leistungen für Assistenz ermöglichen will kann man in SGB IX, §78 nachlesen:

78 SGB IX Assistenzleistungen

    1. Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.
    2. Die Leistungsberechtigten entscheiden auf der Grundlage des Teilhabeplans nach §19 über die konkrete Gestaltung der Leistungen hinsichtlich Ablauf, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Die Leistungen umfassen die vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie die Begleitung der Leistungsberechtigten und die Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung.

Quelle: https://dejure.org/gesetze/SGB_IX/78.html

Elternassistenz

Auch für Eltern, die aufgrund einer Behinderung auf Hilfe im Alltag mit ihren Kindern angewiesen sind, ist eine Assistenz seit 2018 im Teilhabegesetz verankert. Auch hier konzentriert sich die Tätigkeit der Assistenz auf die bereits genannten Bereiche, aber nicht auf die Erziehung des Kindes.


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78 SGB IX Assistenzleistungen

(3) Die Leistungen für Assistenz nach Absatz 1 umfassen auch Leistungen an Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder.

Quelle: https://dejure.org/gesetze/SGB_IX/78.html

Bezüglich der Elternassistenz besteht ein Beratungsangebot durch den Bundesverband behinderter Eltern e.V. Der Verband bietet auch einen Ratgeber zum download an.

 

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Bin ich geeignet für das Konzept der Persönlichen Assistenz?

Für die eigene Eignung als Assistenznehmer gibt es keine Prüfung. Jede/-r muß selbst einschätzen, ob sie/er das Assistenzmodell erfolgreich für sich verwenden könnte. Es sind verschiedene Kompetenzen dazu notwendig: neben der Fähigkeit organisieren und an einer Sache dranbleiben zu können sind die Fähigkeit der Menschenführung und vernünftig mit Geld umgehen zu können wichtig, falls man sich später als Arbeitgeber für persönliche Assistenten sieht. Auf einen Assistenznehmer, der selbst alles im Rahmen des „Arbeitgebermodells“ koordiniert, kommen z.B. folgende Aufgaben zu:

  • die Lohnabrechnung der eingestellten Persönlichen Assistenzkräfte,
  • die Erstellung und Koordination des Dienstplanes,
  • die Organisation von Krankheits- und Urlaubsvertretung,
  • die Einarbeitung neuer AssistentInnen (z.B. Pflege, Verhaltensregeln)
  • die Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer (Assistenten).

Weniger Arbeit hat man, wenn man einige der organisatorischen Aufgaben an einen Anbieter einer „Individuellen Schwerstbehindertenassistenz“ abgeben kann. Aber auch dann müssen Anträge gestellt und der eigene Bedarf begründet werden. Eine bestimmte Organisationsfähigkeit und Hartnäckigkeit sehe ich derzeit als wichtigste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung des Assistenz-Konzeptes an.

 

Voraussetzungen für eine Antragstellung der Assistenzleistungen:

  • Zusätzlich zum Antrag auf Persönliche Assistenz wird üblicherweise ein Nachweis  des Bedarfs mit einer Kalkulation der zu erwartenden Kosten benötigt, z.B. ein eigene Beschreibung des Assistenzbedarfs zuzüglich einer Auflistung der Pflegeleistungen einer Sozialstation.
  • Vermögen- und Einkommensgrenze
    • Alle Angaben zu Vermögen und Einkommen müssen nachgewiesen werden.
    • Die Vermögensgrenze liegt bei 5000€ bei Bezug von Grundsicherung oder Hilfe zur Pflege, sonst bei 30000€ bzw. ab 2020 bei ca. 56000€.
    • Die Einkommensgrenze betrifft alle Einkünfte im Haushalt, ab 2020 zählen aber nur noch die Einkünfte des Antragstellers, bei Überschreitung tritt eine Eigenbeteiligung in Kraft.

Näheres zur Vermögens- und Einkommensgrenze findest du in diesem Beitrag.

Oft verlangt der zuständige überörtliche Sozialhilfeträger, dass zunächst alle anderen Hilfen beantragt werden. Der Grund dafür ist, dass der Sozialhilfeträger nachrangig ist und deswegen immer erst alle anderen vorhandenen Hilfen ausgeschöpft werden müssen. So kann es leider passieren, dass zuerst Anträge bei anderen Stellen eingereicht werden sollen und viel Zeit ins Land geht bis sich der überörtliche Sozialhilfeträger wieder für die Bearbeitung des Antrags auf Assistenz zuständig fühlt. Diese anderen Stellen sind z.B.

  • die Pflegekasse (z.B. höhere Einstufung des Pflegegrads)
  • der örtliche Sozialhilfeträger (Grundsicherung)
  • die Stadt oder der Landkreis (Wohngeld)
  • das Jugendamt (bei Elternassistenz)

 

Hilfe und weitere Informationen

Trotz Verankerung im neuen Sozialgesetzbuch vermeiden viele der zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger mit dieser Form der Hilfe in die Öffentlichkeit zu gehen. Beispielsweise  findet sich auf den Seiten der bayerischen Bezirke kein Wort zur Assistenz. Die zuständigen Bezirke erläutern nur die Möglichkeit des Persönlichen Budgets ohne die Assistenz zu erwähnen. Auch ein spezieller Antrag ist nicht zu finden, es muss dazu der allgemeine Antragsvordruck „Antrag auf Sozialhilfeleistungen“  verwendet werden.

Hilfe und Informationen aus erster Hand kann man sich bei Organisationen von selbst betroffenen Menschen holen, wie z.B. Forsea oder der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V.

Auch viele der seit 2018 bestehenden Teilhabeberatungsstellen können weiterhelfen.

Hier ein Überblick über unsere weiteren Beiträge zum Bundesteilhabegesetz:

Bundesteilhabegesetz: ab 2020 wird die Eingliederungshilfe mehr Menschen zugänglich sein
Bundesteilhabegesetz: die wichtigsten Veränderungen 2017, 2018 und 2020
Bundesteilhabegesetz 2018: Leistungen zur Mobilität
Bundesteilhabegesetz 2018: Leistungen zur Beschäftigung
Bundesteilhabegesetz 2017-2019: Einkommens- und Vermögensgrenzen für Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege
Behindertenparkplatz: Teilhabegesetz passt Voraussetzungen für aG an

Über Jochen Radau

Studium der Sozialpädagogik in Würzburg und Studium der Medizintechnik in Ulm, seit 20 Jahren psychosozialer Berater bei der DMSG im Landesverband Bayern, dort auch Onlineberater. Betreiber und Redakteur dieses und weiterer Blogs zu den Themen Schwerbehinderung und Pflegeversicherung. Weiterqualifikationen in systemischer Beratung und vielen Themen des Sozialrechts.