Ablehnungen von Krankenkassenleistungen: Widerstand ist nicht zwecklos

Im Jahr 2017 veröffentlichte das IGES-Institut die Ergebnisse einer Studie mit dem Titel „Leistungsbewilligungen und -ablehnungen durch Krankenkassen“. Die Studie entstand im Auftrag des Patientenbeauftragten der Bundesregierung. Ein 155-seitiger Bericht über die Ergebnisse der Studie ist im Internet auf der Seite des IGES Instituts abrufbar. Die Zusammenfassung und die Handlungsempfehlungen an die Krankenkassen und die Gesundheitspolitik sind aufschlussreich. Hohe Erfolgsquoten bei den Widerspruchsverfahren der Patienten weisen darauf hin, dass die Erstentscheidungen bei vielen Krankenkassen nicht korrekt ablaufen. Der Bericht empfiehlt eine erweiterte Berichtspflicht für Krankenkassen, insbesondere über den Stand der Ablehnungen bei Hilfsmitteln. Ob wohl unsere Regierung dieser Empfehlung folgen wird?

Eine spannende weitere Empfehlung zielt auf die Genehmigungsfiktion ab. Das ist die Möglichkeit der Kostenerstattung (nach §13 Abs. 3a SGB V), wenn die Krankenkassen für ihre Entscheidungen zu lange auf sich warten lassen.

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Krankenkassen entscheiden über die Anträge ihrer Versicherten sehr unterschiedlich – sich wehren lohnt sich

Der Bericht des IGES Instituts enthält aufschlussreiche Ergebnisse. Zum ersten Mal belegen Zahlen, dass die Krankenkassen durchaus unterschiedliche Ablehnungsquoten bei den einzelnen Leistungen haben. Und diese Ablehnungsquoten weichen erheblich voneinander ab. Die Daten zeigen auch, dass die Chancen auf eine positive Entscheidung im Widerspruchsverfahren mit durchschnittlich 56,4% bei den Vorsorge und Rehaleistungen sehr gut sein können. Das zeigt die nachfolgende Tabelle zu den Leistungen zur Vorsorge und Rehabilitation.

Anzahl bearbeiteter Anträge Ableh-nungsquote vor Widerspruch Anteil Anträge „mit anderer Leistung genehmigt“ Anzahl bearbeiteter Wider-sprüche Wider-spruchs-quote bezogen auf Ablehnung Quote erfolgreiche Wider-sprüche nach Antrag Ablehnungs-quote nach Widerspruch
AOK 454.536 19,4% 3,8% 16.124 18,3% 56,4% 17,2%
BKK 185.381 16,3% 1,8% 4.744 15,7% 66,1% 14,5%
IKK 80.357 15,5% 1,1% 2.149 17,3% 68,8% 13,6%
LKK 21.209 8,4% 0,9% 582 32,5% 53,3% 6,9%
KBS 51.087  17,1% 0,0% 4.255 48,8% 7,7% 16,4%
vdek 444.864  19,4% 2,2% 28.290 32,8% 54,0% 15,7%
insg.  1.237.434 18,4% 2,5% 56.144 24,7% 56,4%     15,8%
Quelle: IGES Institut, Bericht „Leistungsbewilligungen und -ablehnungen durch Krankenkassen„, Seite 87

Die Tabelle zeigt letztendlich bei welchen Krankenkassen die Leistungen zur Rehabilitation und Vorsorge wie entschieden werden. Die landwirtschaftliche Krankenkasse LKK schneidet hier am besten ab. Die Ablehnungsquote im Bereich der Hilfsmittel wird ähnlich eingeschätzt.

Was kann man also bei einer Ablehnung tun?

  1. Gegen ablehnende Bescheide kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung ein Widerspruch eingelegt werden. Laut der zitierten Studie kennen viele Antragsteller diese Möglichkeit  nicht.
  2. Nach einer Ablehnung eines Widerspruchs kann Klage beim Sozialgericht eingereicht werden. Die Klageerhebung und das Verfahren vor dem Sozialgericht sind kostenlos und beides kann auch ohne Anwalt erfolgen.
  3. Eine andere Möglichkeit besteht im Wechsel der Krankenkasse. Das ist auch bei einer chronischen Erkrankung oder einer Behinderung möglich. Wie die erwähnte Studie zeigt, bestehen belegbare Unterschiede in der Art wie die Krankenkassen bewilligen und ablehnen. Bei der neuen Krankenkasse kann die Leistung dann beantragt werden.

 

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Genehmigungsfiktion: wann sind Krankenkassen zur Kostenerstattung nach Ablauf von bestimmten Fristen verpflichtet?

Auch die Genehmigungsfiktion ist Teil des Berichts. Die Genehmigungsfiktion eröffnet die Möglichkeit einer Kostenerstattung nach §13 Abs. 3a SGB V, wenn die Krankenkassen für ihre Entscheidungen bestimmte Fristen nicht einhält.


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Diese Fristen (drei bzw. fünf Wochen nach Antragseingang) sind nachfolgend erläutert:

„Auch kann die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten einer Leistung verpflichtet sein, wenn sie über einen Antrag auf Leistungen nicht innerhalb bestimmter Fristen entschieden hat. Die Krankenkasse hat über einen Leistungsantrag zügig, normalerweise innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. In Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), eingeholt wird, beträgt die Frist fünf Wochen nach Antragseingang (§ 13 Abs. 3a SGB V). Kann sie diese Frist nicht einhalten, so hat sie dies dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mitzuteilen. Ohne Mitteilung eines hinreichenden Grundes gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Hat sich der Leistungsberechtigte die erforderliche Leistung selbst beschafft, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.“

Quelle (Stand 01.12.2018): https://www.patientenbeauftragter.de/2-uncategorised/127-fragen-und-antworten-zur-kostenerstattung-13-sgb-v

Die genannten Fristen können von der Krankenkasse nur schriftlich unter Angabe eines „hinreichenden Grundes“ unterbrochen werden. Wer also fünf Wochen nach Eingang seines Antrags nichts mehr von der Krankenkasse hört, hat das Recht sich beispielsweise das beantragte Hilfsmittel zu kaufen und sich die Kosten nachträglich von der Kasse erstatten zu lassen. Nach Ablauf der oben genannten Fristen gilt der Antrag als genehmigt, wenn die Krankenkasse nicht schriftlich über den Grund der Verzögerung informiert hat. Wer hier sicher gehen will, kann juristische Hilfe hinzuziehen, zum Beispiel mit dem Onlineformular der Anwaltsvermittlungsplattform advocado, mit der wir zusammenarbeiten.

Laut der Studie machen das nur die wenigsten Betroffenen. Die Gründe dafür sind die oftmals hohen Kosten, die auszulegen wären und das Risiko, dass man aus irgendeinem Grund doch nicht zu seinem Recht kommt. Laut der Studie haben von statistisch erfassten 12977 Fällen mit Fristüberschreitung nur 86  Personen vom Recht der Genehmigungsfiktion Gebrauch gemacht und eine Kostenerstattung durchgesetzt. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Großteil der restlichen 12891 Personen nichts von dieser Möglichkeit wussten.

Über Jochen Radau

Studium der Sozialpädagogik in Würzburg und Studium der Medizintechnik in Ulm, seit 20 Jahren psychosozialer Berater bei der DMSG im Landesverband Bayern, dort auch Onlineberater. Betreiber und Redakteur dieses und weiterer Blogs zu den Themen Schwerbehinderung und Pflegeversicherung. Weiterqualifikationen in systemischer Beratung und vielen Themen des Sozialrechts.